

Bevor die Nacht so richtig anbricht, also um 22 Uhr, ziehe ich mich zwischen den Wechseln einmal komplett um. Das ist dann vorübergehend sehr angenehm, in den warmen, trockenen Sachen zu laufen.
Als die Turmuhr um Mitternacht schlägt, die zweiten 5 Stunden vorbei sind, haben wir jeder 17 dieser Runden, also 27,5 Kilometer hinter uns. Meine 8 Einsätze lief ich im Schnitt in 9 Minuten pro Runde, also knapp unter 6min/km
Mental wird es nun hart. 10 Stunden liegen hinter uns, 14 noch vor uns. Wohlwissend, daß es keine Ruhe geben wird, wohlwissend, daß die Kälte, die langsam an den Gliedern hinaufkriecht, noch zunehmen wird. Müdigkeit ist nicht so sehr das Problem, auch muskulär geht es mir recht gut. Aber die Kälte. Das Schlimmste ist, sich nach der kurzen Ruhezeit von 10 min wieder die Decke von den Beinen zu reißen. Die Kälte beißt sich sofort fest. Aber es nützt ja nichts. Moni füllt immer noch tapfer unsere Startkarten mit unseren Nummern aus. Damit gehts in die Wechselzone, ich stelle mich immer an den vorderen Rand, um nach Thomas Ausschau zu halten. Er hat die Angewohnheit, immer kurz vorm Wechsel sehr weit nach Links zu laufen, das erleichtert mir das Erkennen kurz vorher. Wenn ich ihn erblicke, schnell die Jacke aus, in den Zaun geklemmt, Thomas mit einem Lächeln abgeklatscht und hinaus in die Nacht. Die Strecke ist wunderschön bunt beleuchtet, gerade an der Stadtmauer gleicht sie einer Märchenkulisse. Nach etwa 800 Metern beginnt der erste leichte Anstieg, pünktlich an dieser Stelle ist der Körper warm. Im Ziel schnappe ich mir stehts ein heißes Getränk und verschwinde sofort unter meiner warmen Decke. Die Wärme muß so lange wie möglich konserviert werden. In den nächsten zwei Stunden laufen wir zu dritt, Katrin nimmt sich eine kurze Auszeit, um uns danach wieder frisch zur Verfügung zu stehen. So ist es ausgemacht, so ist es in Ordnung. Mir selbst gefällt dieser kurze Wechsel sogar, da die Muskeln nicht so lange auskühlen können. Der Mond scheint genau auf unser kleines Camp, ab und an ein Wölkchen, es liegt eine einzigartige Magie in dieser Nacht. Ein Freund schickt mir per SMS gute Wünsche und Kraft, und auch im Forum gibt es tatsächlich welche, die unser Abenteuer verfolgen. Irgendwann in dieser Nacht hab ich mal meinen Körper gefragt, was der von dieser Aktion hält. Er wisse es nicht, meint er. Er fragt mich nur, ob das jetzt immer so weiter geht... ;o)
Die Stimmung im Team ist weiterhin gut, auch wenn wir im Moment nicht viel reden. Jeder ist irgendwie bei sich. Mir selbst geht es gut, acht Mal laufe ich in der Zeit zwischen 0 und 5 Uhr, die Runden im Schnitt knapp unter 9 Minuten.
15 Stunden vorbei - 9 noch vor uns. Die Nacht zieht sich wie Gummi, immer noch ist die Kälte das Schlimmste, obwohl es bedeckt ist. Von Müdigkeit keine Spur, der Körper kommt nicht dazu, daran zu denken. Er tut etwas Anderes. Er tut genau das, was er bei fast jedem meiner Marathons zwischen Kilometer 36 und 38 tut. Er beschehrt mir ein permanentes Stechen in der Brust, genau in der Herzgegend. Ich kenne das schon und bleibe gelassen, nur fällt es mir schwer, das Tempo zu halten, unter diesen Umständen. Ich schaffe es dennoch. Ich weiß ja, daß es nicht das Herz ist, sondern ein kleiner Muskel genau hinter den Lungen, der verspannt ist, und der diese Schmerzen ausstrahlt. Von nun an dehne ich meinen Oberkörper vor jeder Runde, und dieses kleine Biest läßt mich auch wieder in Ruhe. So kann ich in diesen 5 Stunden bis 10 Uhr morgens das Tempo in den Runden noch einen Tick anziehen. Ich laufe 7 Runden, darunter meinen persönlichen Marathon, Durchschnittszeit pro Runde 8:40min. Inzwischen ist es ja wieder hell geworden, leider läßt uns die Sonne noch im Stich. Noch 4 Stunden, dann ist es geschafft.
Eine der Schwierigkeiten bei dieser Art Unternehmen ist auch die Ernährung. Der Körper ist permanent gefordert, braucht Energie und Flüssigkeit. Aber irgendwann will nichts mehr von dem, was man hier seit über zwanzig Stunden ständig nachschiebt, hinein. Aber es muß. Und irgendwie geht es dann auch.
Noch 6 volle Runden werde ich in den verbleibenden 4 Stunden zum Einsatz kommen. Es ist jetzt etwas wärmer geworden, obwohl die Sonne sich permanent zurückhält. Wer jetzt meint, mein Akku müsse doch jetzt langsam leer sein, der liegt falsch. Das nahende Ziel gibt mir noch einmal so richtig Kraft. Auch in den Pausen bin ich weniger im Liegestuhl zu finden, versuche, den Körper in Bewegung zu halten. Was soll nun noch passieren. Meine Rundenzeiten pegeln sich auf 8:10 ein, das ist schneller, als am Anfang. Nicht ganz unschuldig daran ist Thomas, dessen persönlicher Ehrgeiz nun noch einmal so richtig aufflammt, vielleicht schaffen wir die 240 Kilometer ja doch noch.
Als Thomas einige Minuten vor 14 Uhr auf seine letzte Runde geht, mache ich mich zum Endspurt bereit. Eine ganze Runde werde ich nicht mehr schaffen, soviel ist klar. Aber um jeden Meter kämpfen will ich noch einmal. So richtig die Sau rauslassen... ;o) Ich nehme also das Kärtchen mit der Zahl 147 und begebe mich zum Checkpoint. Als Thomas in der Wechselgasse erscheint und wir uns abklatschen, läuft der Countdown der letzten Minute. Ich gebe noch eimal Vollgas, habe es etwas schwer, durch die frenetische feiernde erste 10er-Staffel hindurchzukommen, und schaffe es bis zum Beginn der Stadtmauer. Dann gibts den großen Knall - aus, finito, das Rennen ist zuende. Ich warte auf den Vermesser, er notiert für`s Team noch einmal 270 Meter.
Was bleibt und was zählt, sind nicht die Kilometer. Es ist die Erinnerung an 24 Stunden Gemeinsamkeit, gegenseitiges Aufmuntern, Gespräche, mehr oder weniger sinnvoll je nach Fortgeschrittenheit der Stunde, das Spüren des eigenen Körpers, die überraschend vielen mentalen Aufs und die wenigen Abs. Und immer wieder auch die Bewunderung für die Einzelläufer, die das ganz allein durchgestanden haben.
Ich habe dieses Abenteuer für mich persönlich immer noch nicht ganz verarbeitet. Es waren so viele Eindrücke, die ich mit nach Hause genommen habe. Ich weiß, daß ich das bis ans Ende meines Lebens nicht vergessen werde.
Vielleicht sollte es schon aus diesem Grunde einmalig bleiben. Ich weiß aber auch, daß es mein Ding nicht sein wird, allein 24 Stunden im Kreis zu laufen. Aber das muß ich auch nicht. Ich habe andere Ziele.
10 Kommentare:
WOW! Wahnsinn, was ihr da geleistet habt. Das stelle ich mir unheimlich schwer vor, sich immer wieder nach so kurzen Pausen erneut aufzuraffen. Ist schon klasse, euer Team.
"aber wir sind uns auch sicher, daß wir das niemals vergessen werden."
DAS glaube ich auch! :-P
Meine Güte, das muß die Hölle gewesen sein. Nur kälter....
Tolles Abendteuer. Wenn ich nur an den 6-Stunden-Lauf und den Spaß und die Atmosphäre denke, dann hab ich ein ganz klein wenig eine Ahnung. Wenn ich das dann hochrechne... ach, das wäre was, was ich auch mal gerne tun würde. Boah bin ich bekloppt.
Tolle Leistung Kathrin und wie immer wunderschön beschrieben.
schöner Bericht Kathrin.
Aber glaub mir 24 h im allein Kreis hat auch was...
zumindest kühlst du nicht aus...
Gruß Martin
Ein toller Bericht. Ich war eine der "Verrückten" Alleinläufer und ich bewundere eine Viererstaffel zutiefst. 2005 hab ich es mal in einer 10er versuchtund das fand ich schwer genug. Die Pausen lassen die Kälte so schnell in den Körper, das ist schlimm. Da habt Ihr eine große Leistung vollbracht, ein tolles Team! Herzlichen Glückwunsch.
Silke
Erst las ich nur 24-Stunden-Lauf Bernau, dann dachte ich, na ja, bei Kathrin ist nichts unmöglich, war dennoch ein klitzekleinbisschen überrascht, dann las ich weiter - und siehe da - Staffel-Laufen ist anstrengend, immer warten zu müssen, bis man dran ist, zwischen durch ausruhen, dann wieder die Beine wackeln lassen, für mich anstrengender als als Solo-Läufer unterwegs zu sein.
Wieder ein Meisterwerk von Kathrin, der Allround-Sportlerin, wie schaffst du das alles ?????
Ich hab ja schon im Forum und persönlich kommentiert, wie unglaublich und auch verrückt ;-) ich diese Leistung finde.
Die Idee mit dem Liveticker fand ich toll, leider konnte ich es nicht so intensiv verfolgen.
Aber sag mal, wann hattest du den fehlenden Schlaf kompensiert? War das am Montag schon erledigt?
Ich habe mir gerade mal in Ruhe die Einzellaufzeiten angeschaut.
Whow, Du hast uns allen in den Sack gesteckt. Morgens um 3 Uhr, morgens um 6 Uhr immer die Runde unter 8:20 zu laufen !
Vielleicht bis Du mit ein Auslöser, wenn ich mich nach 15 Jahren wieder mit Triathlon beschäftige !!!
Das wäre auch mal was für mich. Ein sehr schöner Bericht und eine super Leistung, die Ihr da vollbracht habt.
Gute Erholung wünscht
Laufmaus Elke
Toller Bericht, richtig mitreißend, musste gerade erst mal wieder "wach" werden.
Versinke in Bewunderung :-)
weiß nicht, ob ich das wirklich könnte...ich bin ganz sicher, dass ihr das nie vergessen werdet. LG Yvonne
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