Mittwoch, 17. September 2008

Vierundzwanzig Stunden

Noch gut 2 Stunden, bis der Startschuß fällt, bis die große Uhr über der Zeitnahme auf 00:00:00 schaltet, und gnadenlos langsam die Stunden zählen wird, egal, ob es dämmert, ob es nacht wird, ob es kalt oder warm ist. Sekunde um Sekunde wird verrinnen und erst wenn die Erde einmal komplett um ihre eigene Achse gedreht hat, werden wir wissen, wie es ist, 24 Stunden ein Team zu sein, zu Viert so viele Kilometer wie möglich zu laufen, auftretende Schwächen zu kompensieren und sich gegenseitig aufmuntern.

Mit den beiden Eisenhüttenstädter Einzelläufern Matthias und Günter nach der Ankunft im Stadtpark

Wir, das sind Katrin, Sven, Thomas und ich als Läufer - und nicht zu vergessen, unsere "gute Seele" Moni, die immer pünktlich unsere aktuellen Startkarten ausfüllte, uns Essen und Getränke reichte, wenn wir unter der Decke keine Wärme vergeuden wollten, kurz, die selbst kein Auge zumachte, weder in der Nacht, noch am Tage und die immer für uns da war.

Pünktlich um 14 Uhr fällt der Startschuß und für uns geht Sven als erster ins Rennen. Durch eine kleine Häusergasse geht es an die Stadtmauer, diese 270 Meter dienten mir persönlich immer zum Einlaufen, dann an der Mauer entlang, eine mit Bohlen überdeckte Treppe hinab, vorbei an Teich und Bach, Friedhof, einen Hügel, der sich später als Berg entpuppte und dann wieder durch die Zeltstadt ins Ziel 1,615 Kilometer lang, wieder und wieder zu laufen - 24 Stunden lang. Was werden Geist und Körper wohl in ein paar Stunden dazu sagen? Wir wissen es nicht.


Noch scheint die Sonne, noch reicht eine dünne Jacke zwischen den Läufen. Es gibt Schmalzstullen, Tee, Kaffee, ich verpflege mich reichlich inden kurzen, etwa 25-minütigen Pausen. Und packe immer die Beine hoch. Nur keine Kraft vergeuden. Das Einzige, was ich ohne Nachzudenken tue, ist meinen Beiden Lauffreunden aus Eisenhüttenstadt, Matti und Günter, die die 24 Stunden allein bestreiten, in deren kurzen Pausen heißen Tee zu holen. Aber sonst: alle Energie im Körper lassen.

Gegen 19 Uhr, die ersten 5 Stunden sind geschafft, stellen Sven und ich ernüchternd fest, daß wir schon ganz schön kaput sind, aber doch erst jeder noch keine 15 Kilometer gelaufen sind. Jetzt blos nicht den Kopf regieren lassen. Weiter, einfach immer weiter machen. In diesen ersten 5 Stunden kam ich 9 mal zum Einsatz, lief eine Durchschnittspace von 5:11, das heißt, die Runde im Schnitt in 8:26 min.

Thomas hat sein Notebook dabei und so kommen wir auf die Idee, einen Live-Ticker zu schreiben. Wir haben ne Menge Spaß dabei und es tat gut, zu sehen, daß es da draußen welche gibt, die uns die Daumen drücken und uns anfeuern. So langsam wird es dunkel, überall gehen Lichter an, und Feuer. Mit allem wird geheizt, Heizstrahler, Feuerkörbe, Kanonenofen. Zu meinem Leid, denn ich bekomme mein Asthma und krame verzweifelt in meinen Sachen nach dem Notfallspray. Verdammt, ich kann es nicht finden. So habe ich zwischen den Läufen mit dem Abhusten zu tun. Beim Loslaufen pfeife ich wie eine Dampflock, nach etwa 500 m, also genau dort, wo die Treppe mit Holzbohlen überdeckt ist, merke ich, wie meine Bronchen wieder frei werden. Kurz darauf geht es aber den Hügel hoch - also wieder knappe Luft. Nach einigen Stunden Quälerei und immer wieder Suchen nach dem Spray (ob ich es nicht vielleicht doch irgendwo versteckt hab....), wecke ich die im Rettungswagen schlafenden Sanis. Nein, ein Notfallspray haben sie nicht, sie könnten aber den Notarzt holen, dann bekäme ich eine Infusion. Ich habe dankend abgelehnt, wird schon gehen.

Bevor die Nacht so richtig anbricht, also um 22 Uhr, ziehe ich mich zwischen den Wechseln einmal komplett um. Das ist dann vorübergehend sehr angenehm, in den warmen, trockenen Sachen zu laufen.

Als die Turmuhr um Mitternacht schlägt, die zweiten 5 Stunden vorbei sind, haben wir jeder 17 dieser Runden, also 27,5 Kilometer hinter uns. Meine 8 Einsätze lief ich im Schnitt in 9 Minuten pro Runde, also knapp unter 6min/km

Mental wird es nun hart. 10 Stunden liegen hinter uns, 14 noch vor uns. Wohlwissend, daß es keine Ruhe geben wird, wohlwissend, daß die Kälte, die langsam an den Gliedern hinaufkriecht, noch zunehmen wird. Müdigkeit ist nicht so sehr das Problem, auch muskulär geht es mir recht gut. Aber die Kälte. Das Schlimmste ist, sich nach der kurzen Ruhezeit von 10 min wieder die Decke von den Beinen zu reißen. Die Kälte beißt sich sofort fest. Aber es nützt ja nichts. Moni füllt immer noch tapfer unsere Startkarten mit unseren Nummern aus. Damit gehts in die Wechselzone, ich stelle mich immer an den vorderen Rand, um nach Thomas Ausschau zu halten. Er hat die Angewohnheit, immer kurz vorm Wechsel sehr weit nach Links zu laufen, das erleichtert mir das Erkennen kurz vorher. Wenn ich ihn erblicke, schnell die Jacke aus, in den Zaun geklemmt, Thomas mit einem Lächeln abgeklatscht und hinaus in die Nacht. Die Strecke ist wunderschön bunt beleuchtet, gerade an der Stadtmauer gleicht sie einer Märchenkulisse. Nach etwa 800 Metern beginnt der erste leichte Anstieg, pünktlich an dieser Stelle ist der Körper warm. Im Ziel schnappe ich mir stehts ein heißes Getränk und verschwinde sofort unter meiner warmen Decke. Die Wärme muß so lange wie möglich konserviert werden. In den nächsten zwei Stunden laufen wir zu dritt, Katrin nimmt sich eine kurze Auszeit, um uns danach wieder frisch zur Verfügung zu stehen. So ist es ausgemacht, so ist es in Ordnung. Mir selbst gefällt dieser kurze Wechsel sogar, da die Muskeln nicht so lange auskühlen können. Der Mond scheint genau auf unser kleines Camp, ab und an ein Wölkchen, es liegt eine einzigartige Magie in dieser Nacht. Ein Freund schickt mir per SMS gute Wünsche und Kraft, und auch im Forum gibt es tatsächlich welche, die unser Abenteuer verfolgen. Irgendwann in dieser Nacht hab ich mal meinen Körper gefragt, was der von dieser Aktion hält. Er wisse es nicht, meint er. Er fragt mich nur, ob das jetzt immer so weiter geht... ;o)

Die Stimmung im Team ist weiterhin gut, auch wenn wir im Moment nicht viel reden. Jeder ist irgendwie bei sich. Mir selbst geht es gut, acht Mal laufe ich in der Zeit zwischen 0 und 5 Uhr, die Runden im Schnitt knapp unter 9 Minuten.


15 Stunden vorbei - 9 noch vor uns. Die Nacht zieht sich wie Gummi, immer noch ist die Kälte das Schlimmste, obwohl es bedeckt ist. Von Müdigkeit keine Spur, der Körper kommt nicht dazu, daran zu denken. Er tut etwas Anderes. Er tut genau das, was er bei fast jedem meiner Marathons zwischen Kilometer 36 und 38 tut. Er beschehrt mir ein permanentes Stechen in der Brust, genau in der Herzgegend. Ich kenne das schon und bleibe gelassen, nur fällt es mir schwer, das Tempo zu halten, unter diesen Umständen. Ich schaffe es dennoch. Ich weiß ja, daß es nicht das Herz ist, sondern ein kleiner Muskel genau hinter den Lungen, der verspannt ist, und der diese Schmerzen ausstrahlt. Von nun an dehne ich meinen Oberkörper vor jeder Runde, und dieses kleine Biest läßt mich auch wieder in Ruhe. So kann ich in diesen 5 Stunden bis 10 Uhr morgens das Tempo in den Runden noch einen Tick anziehen. Ich laufe 7 Runden, darunter meinen persönlichen Marathon, Durchschnittszeit pro Runde 8:40min. Inzwischen ist es ja wieder hell geworden, leider läßt uns die Sonne noch im Stich. Noch 4 Stunden, dann ist es geschafft.

Eine der Schwierigkeiten bei dieser Art Unternehmen ist auch die Ernährung. Der Körper ist permanent gefordert, braucht Energie und Flüssigkeit. Aber irgendwann will nichts mehr von dem, was man hier seit über zwanzig Stunden ständig nachschiebt, hinein. Aber es muß. Und irgendwie geht es dann auch.

Noch 6 volle Runden werde ich in den verbleibenden 4 Stunden zum Einsatz kommen. Es ist jetzt etwas wärmer geworden, obwohl die Sonne sich permanent zurückhält. Wer jetzt meint, mein Akku müsse doch jetzt langsam leer sein, der liegt falsch. Das nahende Ziel gibt mir noch einmal so richtig Kraft. Auch in den Pausen bin ich weniger im Liegestuhl zu finden, versuche, den Körper in Bewegung zu halten. Was soll nun noch passieren. Meine Rundenzeiten pegeln sich auf 8:10 ein, das ist schneller, als am Anfang. Nicht ganz unschuldig daran ist Thomas, dessen persönlicher Ehrgeiz nun noch einmal so richtig aufflammt, vielleicht schaffen wir die 240 Kilometer ja doch noch.

Je näher die große Uhr an die 24 rückt, desto wacher werde ich, desto mehr steigt die Laune - auch im Team. Wir sind uns zwar (bis auf Thomas) alle einig, daß wir das nicht noch einmal haben müssen, aber wir sind uns auch sicher, daß wir das niemals vergessen werden.

Als Thomas einige Minuten vor 14 Uhr auf seine letzte Runde geht, mache ich mich zum Endspurt bereit. Eine ganze Runde werde ich nicht mehr schaffen, soviel ist klar. Aber um jeden Meter kämpfen will ich noch einmal. So richtig die Sau rauslassen... ;o) Ich nehme also das Kärtchen mit der Zahl 147 und begebe mich zum Checkpoint. Als Thomas in der Wechselgasse erscheint und wir uns abklatschen, läuft der Countdown der letzten Minute. Ich gebe noch eimal Vollgas, habe es etwas schwer, durch die frenetische feiernde erste 10er-Staffel hindurchzukommen, und schaffe es bis zum Beginn der Stadtmauer. Dann gibts den großen Knall - aus, finito, das Rennen ist zuende. Ich warte auf den Vermesser, er notiert für`s Team noch einmal 270 Meter.

Mit den 240 Kilometern hat es leider nicht ganz geklappt. Aber das ist auch völlig egal. Wir sind als Team 236,142 Kilometer gelaufen.

Was bleibt und was zählt, sind nicht die Kilometer. Es ist die Erinnerung an 24 Stunden Gemeinsamkeit, gegenseitiges Aufmuntern, Gespräche, mehr oder weniger sinnvoll je nach Fortgeschrittenheit der Stunde, das Spüren des eigenen Körpers, die überraschend vielen mentalen Aufs und die wenigen Abs. Und immer wieder auch die Bewunderung für die Einzelläufer, die das ganz allein durchgestanden haben.


Ich habe dieses Abenteuer für mich persönlich immer noch nicht ganz verarbeitet. Es waren so viele Eindrücke, die ich mit nach Hause genommen habe. Ich weiß, daß ich das bis ans Ende meines Lebens nicht vergessen werde.

Vielleicht sollte es schon aus diesem Grunde einmalig bleiben. Ich weiß aber auch, daß es mein Ding nicht sein wird, allein 24 Stunden im Kreis zu laufen. Aber das muß ich auch nicht. Ich habe andere Ziele.Mein Dank gilt Thomas, Sven, Katrin und Moni – Ihr seid wunderbar.

10 Kommentare:

Kerstin hat gesagt…

WOW! Wahnsinn, was ihr da geleistet habt. Das stelle ich mir unheimlich schwer vor, sich immer wieder nach so kurzen Pausen erneut aufzuraffen. Ist schon klasse, euer Team.

juerginskyi hat gesagt…

"aber wir sind uns auch sicher, daß wir das niemals vergessen werden."
DAS glaube ich auch! :-P
Meine Güte, das muß die Hölle gewesen sein. Nur kälter....

Blumenmond hat gesagt…

Tolles Abendteuer. Wenn ich nur an den 6-Stunden-Lauf und den Spaß und die Atmosphäre denke, dann hab ich ein ganz klein wenig eine Ahnung. Wenn ich das dann hochrechne... ach, das wäre was, was ich auch mal gerne tun würde. Boah bin ich bekloppt.

Tolle Leistung Kathrin und wie immer wunderschön beschrieben.

Martin Schmitz hat gesagt…

schöner Bericht Kathrin.
Aber glaub mir 24 h im allein Kreis hat auch was...

zumindest kühlst du nicht aus...

Gruß Martin

Anonym hat gesagt…

Ein toller Bericht. Ich war eine der "Verrückten" Alleinläufer und ich bewundere eine Viererstaffel zutiefst. 2005 hab ich es mal in einer 10er versuchtund das fand ich schwer genug. Die Pausen lassen die Kälte so schnell in den Körper, das ist schlimm. Da habt Ihr eine große Leistung vollbracht, ein tolles Team! Herzlichen Glückwunsch.
Silke

Anonym hat gesagt…

Erst las ich nur 24-Stunden-Lauf Bernau, dann dachte ich, na ja, bei Kathrin ist nichts unmöglich, war dennoch ein klitzekleinbisschen überrascht, dann las ich weiter - und siehe da - Staffel-Laufen ist anstrengend, immer warten zu müssen, bis man dran ist, zwischen durch ausruhen, dann wieder die Beine wackeln lassen, für mich anstrengender als als Solo-Läufer unterwegs zu sein.

Wieder ein Meisterwerk von Kathrin, der Allround-Sportlerin, wie schaffst du das alles ?????

Anett hat gesagt…

Ich hab ja schon im Forum und persönlich kommentiert, wie unglaublich und auch verrückt ;-) ich diese Leistung finde.
Die Idee mit dem Liveticker fand ich toll, leider konnte ich es nicht so intensiv verfolgen.
Aber sag mal, wann hattest du den fehlenden Schlaf kompensiert? War das am Montag schon erledigt?

Anonym hat gesagt…

Ich habe mir gerade mal in Ruhe die Einzellaufzeiten angeschaut.
Whow, Du hast uns allen in den Sack gesteckt. Morgens um 3 Uhr, morgens um 6 Uhr immer die Runde unter 8:20 zu laufen !
Vielleicht bis Du mit ein Auslöser, wenn ich mich nach 15 Jahren wieder mit Triathlon beschäftige !!!

Laufmauselke hat gesagt…

Das wäre auch mal was für mich. Ein sehr schöner Bericht und eine super Leistung, die Ihr da vollbracht habt.
Gute Erholung wünscht
Laufmaus Elke

Anonym hat gesagt…

Toller Bericht, richtig mitreißend, musste gerade erst mal wieder "wach" werden.
Versinke in Bewunderung :-)
weiß nicht, ob ich das wirklich könnte...ich bin ganz sicher, dass ihr das nie vergessen werdet. LG Yvonne